Prager Straße: CDU-Antrag nicht umsetzbar – sichere Radstreifen sind notwendig
Offener Brief: Der CDU-Antrag zu Rad- und Kfz-Verkehr ist straßenverkehrsrechtlich nicht umsetzbar. Sichere Radfahrstreifen und eine einstreifige Kfz-Führung auf der Prager Straße stadtauswärts sind für mehr Verkehrssicherheit in Leipzig notwendig.
In einem offenen Brief unserer AG Verkehr wandten sich Jens Emmerich und Philipp Böhme an die Mitglieder der CDU-Fraktion. Sie machten deutlich, dass der vorgelegte Änderungsantrag (VII-DS-09870-NF-01-ÄA-01) zur Prager Straße straßenverkehrsrechtlich nicht umsetzbar ist. Die vorgeschlagene zweispurige Kfz-Führung stadtauswärts scheitert an den begrenzten Straßenquerschnitten. Gleichzeitig ist die Führung des Radverkehrs auf dem Gehweg aufgrund von Untermaßigkeit unzulässig, da sie den Fußverkehr gefährdet. Die einzig sichere und rechtlich mögliche Lösung bleibt eine einstreifige Kfz-Führung in Kombination mit regelgerechten Radfahrstreifen.
Die AG Verkehr betont, dass dieser Umbau mehr Verkehrssicherheit, effizientere Raumnutzung und letztlich eine höhere Lebensqualität schafft. Sie fordert die CDU-Fraktion auf, diesen zukunftsweisenden Weg zu unterstützen.
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Die folgenden Ausführungen erläutern die oben gemachten Aussagen.
Rechtmäßigkeit der Führung des Radverkehrs auf dem Gehweg stadtauswärts
Benutzungspflicht
Die Anordnung eines benutzungspflichtigen gemeinsamen Geh- und Radweges (Zeichen 240, Benutzungspflicht gemäß §2 (4) StVO) ist zum Schutz der zu Fuß gehenden an Voraussetzungen geknüpft, die über die allgemeinen Grundsätze des §45 der StVO hinaus in der Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV-StVO) geregelt sind. Randnummer 20, zu §2 Abschnitt II. Radwegbenutzungspflicht, Punkt 2. (a.) (bb.) legt Mindestmaße für gemeinsame Geh- und Radwege fest, innerorts mindestens 2,50 m. Unterschreitungen der Mindestmaße nach Randnummer 22 sind nur an kurzen Abschnitten (z.B. kurze Engstelle) zulässig.
Der stadtauswärtige Fußweg ist über weite Strecken nicht einmal 2m breit, erfüllt also die Anordnungsvoraussetzugen nicht.
Benutzungsrecht
Zur Einräumung eines Benutzungsrechtes für den Radverkehr, durch die Beschilderung als Gehweg mit Zusatzzeichen "Radverkehr frei" (Zeichen 239, 1022-10) legt die VwV-StVO ("Zu Zeichen 239 Gehweg" II., Randnummer 2) fest: 'Die Freigabe des Gehweges zur Benutzung durch Radfahrer durch das Zeichen 239 mit Zusatzzeichen „Radverkehr frei" kommt nur in Betracht, wenn dies unter Berücksichtigung der Belange der Fußgänger vertretbar ist.'
Verbindlichen Maße legt die VwV-StVO nicht fest, die deutliche Unterschreitung der Mindestmaße für die Benutzungspflicht gibt jedoch bereits deutliche Hinweise für die Abwägung. Zusätzlich ist der anerkannte Stand der Technik hinzuzuziehen, hier maßgeblich die verbindlich eingeführten Richtlinien zur Anlage von Stadtstraßen (RASt 06). Dort sind zum einen die erforderlichen Breiten und Bewegungsräume für Verkehrsmittel definiert, für ein einspuriges Fahrrad (Abschnitt 4.6) 1,0 m zuzüglich 0,25 m Sicherheitsraum zu Einfriedungen, Baumscheiben usw. und 0,25 m zu Verkehrsräumen des Fußgängerverkehrs; Lastenräder und Fahrräder mit Anhänger benötigen größere Breiten. Für den Fußverkehr sind mindestens die Breitenbedarfe einzelner mobilitätsbehinderter Personen (Tabelle 4) anzusetzen, wozu in der RASt auch Personen mit Kinderwagen gezählt werden, mit Breitenbedarfen von 0,85m (Person mit Stock) bis 1,30m (blinde Person mit Begleitperson, 1,20m mit Begleithund), zuzüglich 0,25 m Sicherheitsraum. Damit ergeben sich mindestens 0,25m + 1,0m + 0,25 m + 0,85m + 0,25m = 2,6 m, an Engstellen unter Ansetzung des reduzierten Bewegungsraums von 0,8 m für den Radverkehr 2,4 m, also bereits deutlich mehr, als die verfügbare Fußwegbreite. Für eine inklusive Infrastruktur und den heute üblichen Radverkehrsmix ergeben sich aus dem sicheren Begegnungsfall deutlich größere Breiten um 3,00 m.
Zusätzlich lassen sich die in den RASt im Abschnitt "6.1.6.4 Gemeinsame Führung mit dem Radverkehr" erforderlichen Breiten in Abhängigkeit von der Verkehrsbelastung heranziehen. Für die im betreffenden Abschnitt der Prager Straße ermittelten Radverkehrsstärken von aktuell ca. 1.300 Radfahrenden pro Tag und Richtung wären in der Spitzenstunde 130 Radfahrende anzusetzen. Da von erheblich mehr als 20 zu Fuß Gehenden pro Stunde in der Nachmittagsspitze auszugehen ist, ergibt sich für die erforderliche Breite nach Tabelle 27 mindestens 4,00 m. Selbst bei in der Summe nur 100 Nutzenden werden Breiten von mindestens 3,00 m benötigt.
Die Abwägung zur Freigabe des Gehweges kann aufgrund der Untermaßigkeit und Verkehrssicherheitsdefizite daher nur negativ ausfallen, der Gehweg kann für Radfahrende ab 10 Jahren unter Berücksichtigung der Belange des Fußverkehrs aufgrund mangelnder Breite nicht freigegeben werden. Radverkehr ist auf so engen Flächen nicht mit dem Fußverkehr verträglich.
Führung des KFZ-Verkehrs
Der Änderungsantrag der CDU zielt auf eine weitgehend zweispurige Führung des KFZ-Verkehrs ab. In den verbleibenden Raum neben dem besonderen Bahnkörper, der überwiegend 5,65 m breit ist, passen keine zwei Fahrspuren (RASt 6.1.1.3, Tabelle 9), lediglich eine überbreite einstreifige Richtungsfahrbahn (RASt 6.1.1.2). Für die Bemessung der Verkehrsanlage stadtauswärts ist hauptsächlich die gegenüber der morgendlichen Spitze deutlich flachere und breitere Nachmittagsspitze relevant; es sind weniger KFZ pro Stunde in dieser Richtung zu erwarten. Zu dieser Zeit besteht oft auch eine höhere Flexibilität bezüglich der Abfahrtzeit als am Morgen. Durch die separate Linksabbiegespur bietet der Knoten Kommandant-Prendel-Allee zudem eine hohe Leistungsfähigkeit, so dass der komplexe Doppelknoten in Probstheida absehbar nahe seiner Leistungsgrenze mit einem einstreifigen Zulauf "bestückt" werden kann und die einstreifige Führung des KFZ-Verkehrs keine wesentliche Einschränkung der Leistungsfähigkeit für den KFZ-Verkehr im Gesamtverlauf mit sich bringen würde.
Radverkehr auf der Fahrbahn
Im betreffenden Abschnitt lässt sich keine Benutzungspflicht für den Radverkehr auf dem Gehweg anordnen. Das wird auch durch den vorliegenden erfolgreichen Einspruch eines ADFC Mitgliedes gegen die bestehende Benutzungspflicht deutlich. Die Umsetzung der Aufhebung der Benutzungspflicht scheiterte bisher an den Kapazitäten zur Umprogrammierung der Lichtsignalanlage am Knoten Prager Straße / An der Tabaksmühle, die aus Sicherheitsgründen zur zeitlich getrennten Einfahrt von Rad- und KFZ-Verkehr in den Fahrbahnbereich nötig ist. Spätestens mit der Erneuerung der Lichtsignalanlage beim Umbau ist die Benutzungspflicht aufzuheben. Gleichzeitig lässt sich rechtssicher zum Schutz des Fußverkehrs kein Benutzungsrecht einräumen, d. h. Radverkehr muss auf der Fahrbahn geführt werden.
Dafür gibt es grundsätzlich drei Führungsformen: Mischverkehr, Schutzstreifen und Radfahrstreifen.
Einsatzgrenzen für die einzelnen Führungsformen des Radverkehrs sind den Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA 2010) als anerkanntem Stand der Technik zu entnehmen. Für die Forderung einer zweispurigen Befahrung im überbreiten Fahrstreifen ist die Belastungsklasse IV nach Bild 7 heranzuziehen, in der eine Trennung von KFZ- und Radverkehr in der Regel notwendig ist. Auch eine Begrenzung auf 30 km/h führt dabei nicht zur Herabstufung. Da für Schutzstreifen das Nebeneinanderfahren keinen "Bedarf" im Sinne von Anlage 3 (zu § 42 Absatz 2), Zeichen 340 Punkt 2. darstellt, wäre eine Anordnung hier nicht zielführend.
Auf der Fahrbahn würde der Radverkehr den Verkehrsfluss so weit ausbremsen, dass ein einstreifiger Kfz-Verkehr ähnlich leistungsfähig wäre. Die für Mischverkehr definierten Einsatzgrenzen sind ohnehin in der Belastungsklasse IV deutlich überschritten.
Somit ist die einzig sichere Führungsform für den Radverkehr ein Radfahrstreifen, wie in der Beschlussvorlage geplant.
Konsequenzen für den Änderungsantrag der CDU
Eine sichere Führung des Radverkehrs stadtauswärts lässt sich rechtssicher nur im Form eines Radfahrstreifens umsetzen. Eine Zustimmung des Stadtrates zum ÄA der CDU bringt daher die Verwaltung in eine Zwickmühle, aus rechtlichen und fachlichen Gründen gegen einen Beschluss des Stadtrates handeln zu müssen. Hier ist Ehrlichkeit gefragt, um weiteren Vertrauensverlust gegenüber demokratischen Prozessen zu vermeiden. Ihr Änderungsantrag macht ein Versprechen, das er nicht halten kann.
Für die sich weiter verdichtende Stadt gilt es, den Verkehrsraum effizient zu nutzen. Eine KFZ-Spur bietet eine Kapazität von bis zu 2.000 Personen pro Stunde bei typischer Fahrzeugnutzung gegenüber 12.000 Personen pro Stunde auf gleich dimensionierten Radfahrstreifen. Wie bekannt, ist der ÖPNV inzwischen wieder nahe seiner Kapazitätsgrenze, die breiteren Bahnen schaffen hier lediglich ein wenig Luft. Regelwerkskonforme Radverkehrsanlagen sind deshalb zunehmend eine Kernvoraussetzung dafür, dass die Leipziger Bevölkerung sich frei durch die Stadt bewegen und individuell mobil sein kann. Verkehrsprobleme, die durch Staus im Autoverkehr, d.h. eine Übernutzung des Verkehrsraums, verursacht werden, können im begrenzten Raum nicht durch Ausbau der Straßenkapazitäten gelöst werden.
Damit muss Verkehr und Mobilität ganzheitlich gedacht werden und mit der Stadtentwicklung verknüpft werden. Eine zeitgemäße Straßenraumgestaltung ermöglicht allen Verkehrsteilnehmenden sichere Verkehrsbedingungen. Die Mehrheit der Leipzigerinnen und Leipziger, die sich auf Ihren Wegen für Alternativen zum Pkw entscheiden, hat einen Anspruch auf sichere und attraktive Bedingungen, egal wohin sich reisen möchten. Durch leistungsfähigere Straßenbahnen und Radverkehrsanlagen entsteht ein verbindendes Mobilitätsangebot für die gesamte Stadtgesellschaft. Dabei geht es nicht darum, Autofahrenden etwas wegzunehmen, sondern allen Verkehrsteilnehmenden gleichberechtigt Raum und Sicherheit zu geben. Die neuen Radverkehrsanlagen sind notwendig, denn auf diesen können sechsmal mehr Menschen befördert werden, als auf Autospuren. Damit leisten Sie einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Verkehrsflusses und nachhaltig bessere Bedingungen für den Wirtschaftsverkehr.
Alternativen zum Status Quo
Um die Alternativen zum Auto frühzeitig zu stärken, muss schon während der Bauzeit ein verändertes Mobilitätsverhalten gefördert werden. Dafür ist es essenziell, die als Radvorrangroute geplante direkte Verbindung von Liebertwolkwitz bis ins Stadtzentrum entlang der Naunhofer Straße als attraktive Radverkehrsachse zu etablieren, zum Beispiel durch abschnittsweise Anordnung als Fahrradstraße. Die Routenführung aus Richtung Liebertwolkwitz ist im Hauptnetz Rad bewusst entlang der Alten Tauchaer Straße, Feldstraße, Russenstraße (Herzzentrum), und Naunhofer Straße gewählt, weil es entlang der Prager Straße zwischen Probstheida und Höltystraße/Parkweg aufgrund von Topologie und Straßenbahn unmöglich ist, auch nur akzeptable Radverkehrsanlagen herzustellen. Die Verbindung weiter in Richtung Innenstadt über die Messebrücke und autofreie Fahrradstraßen bietet Abschnitte mit einer in Leipzig einzigartigen Qualität.
Die Prager Straße dagegen erschließt vorwiegend Meusdorf, Dösen und den westlichen Teil von Probstheida. Beide sind notwendige Komponenten im Hauptnetz Rad und verringern direkt die KFZ-Belastung der Prager Straße. Mit einem 1,4-fachen Weg zwischen dem Knoten an der Tabaksmühle und Chemnitzer Straße und zusätzlichem zweifachen Queren der Hauptverkehrsachse und damit weiteren anderthalb Minuten Wartezeit, wie in Ihrem Änderungsantrag vorgeschlagen, schaffen Sie keine attraktiven Bedingungen zur Verlagerung von KFZ auf das Rad.
Mit der Umsetzung direkter Radrouten dagegen erhalten viele Leipzigerinnen und Leipziger die Möglichkeit, ihre Mobilität nach ihren Bedürfnissen zu gestalten. Praxisgerechte Alternativen zum Auto sorgen für Entspannung auf den Straßen - zum Vorteil aller Verkehrsteilnehmenden. Genau solche vielfältigen Mobilitätsoptionen brauchen lebendige und zukunftsfähige Städte. Der reine Ausbau von Infrastrukturen reicht insgesamt aber allein nicht aus. Es braucht systematisch weitergehende Bemühungen z.B. mit Hilfe von:
- Kommunalem und betrieblichem Mobilitätsmanagement
- Anfangszeitenmanagement im Zusammenarbeit mit der Wirtschaft, Schulen und Ausbildungsstätten
- Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit
- Kontinuierliche Beteiligung der Bevölkerung
- weitere Stärkung des Radverkehrs auch auf längeren Distanzen über 10 km, z.B. durch Radvorrangrouten, Radschnellverbindungen, durchgehende Hauptachsen in hoher Qualität
- Stärkung des Fahrradparkens im öffentlichen Raum mit zugangsgesicherten Angeboten
- Stärkung der Inter- und Multimodalität
Wir bitten Sie daher nochmals, die Umsetzung sicherer Radverkehrsanlagen und die Förderung der Alternativen zum KFZ-Verkehr zu unterstützen.